Harte Zusätzlichkeit: Stärkerer Einfluss für Ökostromverbraucher
27. Oktober 2020
Wie kann europäischen Stromverbrauchern die Möglichkeit gegeben werden, mit ihrer Entscheidung für Ökostrom eine noch stärkere Wirkung für zusätzliche Mengen an erneuerbarer Stromproduktion auszulösen? Ein Expertenteam vom Öko-Institut e. V. hat dies für den EnergieVision e. V. untersucht und die Ergebnisse zu einem Diskussionspapier ausgearbeitet. Im Zentrum steht dabei der Ansatz der „harten Zusätzlichkeit“.
Aktuelle Entwicklungen im dynamischen europäischen Strommarkt wie der EU-Finanzierungsmechanismus für Erneuerbare oder Green PPA für neue und nicht geförderte Anlagen bringen Chancen, aber auch Fragestellungen mit sich. Zum Beispiel, auf welche Erneuerbaren-Ausbauziele bestimmte Strommengen eigentlich angerechnet werden sollen, wenn der Ausbau der Erneuerbaren von einzelnen Bürgern und Verbrauchern bezahlt wird – und nicht vom Staat, in welchem die Anlage errichtet wird?
Zugleich eröffnen sich für Verbraucher neue Möglichkeiten, mit ihrer Entscheidung für Ökostrom eine noch stärkere Wirkung für zusätzliche Mengen an erneuerbarer Stromproduktion auszulösen.
Harte Zusätzlichkeit als Impuls für mehr Einflussmöglichkeiten der Verbraucher
Im bisherigen regulatorischen Rahmen können hochwertige Ökostromprodukte im besten Fall einen zusätzlichen Beitrag zum Erreichen der politisch definierten Ausbauziele leisten. Wenn Marktakteure aber sicherstellen könnten, dass der von ihnen verursachte Ausbau der Erneuerbaren nicht auf diese Ziele angerechnet wird, dann würden andere Marktakteure und politische Entscheidungsträger nicht aus ihrer Verantwortung zur Zielerreichung entlassen werden. Im Ergebnis wäre ein in jeglicher Hinsicht zusätzlicher Energiewendenutzen erreicht.
Wie sich dieses Plus an Einflussmöglichkeit der Ökostromverbraucher konkret in der Praxis umsetzen ließe, hat das Öko-Institut für den EnergieVision e.V., der sich als gemeinnütziger Verein für Verbraucherschutz und Marktransparenz in der Energiewirtschaft einsetzt, untersucht. In ihrem Diskussionspapier schlagen die Experten den Ansatz einer „harten Zusätzlichkeit“ vor.
„Für diese ,harte Zusätzlichkeit‘ kommt ausschließlich erneuerbare Energieproduktion in Frage, die aus neuen und nicht geförderten Anlagen stammt und somit als zusätzlich zu den öffentlichen Anstrengungen betrachtet werden kann“, erklärt Dominik Seebach, der die Untersuchung auf Seiten des Öko-Instituts leitete. Um den Ansatz zu realisieren, seien folgende regulatorische und technische Anpassungen erforderlich:
- Den staatlichen Anteil stark reduzieren: Der so erzeugte Strom sollte nicht vollständig auf die bestehenden politischen Ziele für erneuerbare Energien auf EU und nationaler Ebene angerechnet werden, sondern nur mit einem Basisanteil von 20 %. Die verbleibenden 80 % dieser Stromerzeugung können dann aus Sicht der Verbraucher als wirklich zusätzlich betrachtet werden.
- Das bestehende HKN-System um zwei Markierungen erweitern: Die Überwachung und statistische Zuordnung der „harten Zusätzlichkeit“ durch öffentliche Stellen könnte auf der Grundlage des Systems für Herkunftsnachweise (HKN) erfolgen. Hier ließen sich zwei Markierungen, sogenannte Earmarks, ergänzen:
- Um neue und nicht geförderte EE-Erzeugung durch die Nachfrage nach diesem Strom zu finanzieren, werden die hierfür ausgestellten Herkunftsnachweise (Guarantees of Origin - GO) als „GOplus“ etabliert und vermarktet. Für solche GOplus kann als Folge einer gezielten Nachfrage durch engagierte Verbraucher eine Premium-Marktnische entstehen.
- EE-Stromerzeugung, die aus neuen Anlagen stammt und (ansonsten) nicht gefördert wird, und welche z.B. im Rahmen eines „Fondsmodell-Ansatzes“ durch einen Ökostromanbieter von einer privaten Direktfinanzierung der Anlage profitiert, wird ebenfalls durch eine GO-Markierung gekennzeichnet. Diese Markierung sollte auch den Mechanismus für die private Finanzierung benennen – etwa im Rahmen des Finanzierungsmechanismus der Union für erneuerbare Energie nach Art. 33 der Governance-Verordnung („FinMech Target Earmark“) und/oder ein freiwilliges Ökostromlabel, das geeignete Kriterien anwendet („Private Fund Target Earmark“).
Stichwort Ökostromlabel: Diese können im Hinblick auf Transparenz und Sichtbarkeit für den Verbraucher eine wichtige unterstützende Rolle einnehmen. Sie müssten hierfür ihre bestehenden Kriterien zur Zusätzlichkeit gezielt so weiterentwickeln, dass auf freiwilligen Ökostrom-Märkten künftig eine Nachfrage nach erneuerbaren Energien mit „harter Zusätzlichkeit“ entsteht.
Klare Forderung an die Politik
Welche Anforderungen an politische Entscheidungen leiten sich daraus ab? „Zusätzlich bedeutet in diesem Ansatz ganz klar und sichtbar zusätzlich zu den politischen Zielen“, betont Dominik Seebach. „Dies zu ermöglichen, erfordert Akzeptanz und ein aktives Mitgestalten seitens des Gesetzgebers – auf Länder- wie auch auf EU-Ebene. Dementsprechend darf die EU – und die Bundesregierung gleichermaßen – ihre Zielstellungen nicht reduzieren, zugleich muss sie die statistischen Anrechnungsmechanismen umsetzen.“
Auf weitere Energien und Sektoren anwendbar
Während in dem vom Öko-Institut erstellten Diskussionspapier der Ansatz für „harte Zusätzlichkeit“ zunächst mit Fokus auf Strom aus erneuerbaren Energien betrachtet wurde, ist analog auch eine Anwendung auf andere Formen erneuerbarer Energien denkbar. Darüber hinaus ließe sich ein solcher Ansatz beispielsweise im Verkehrssektor dafür nutzen, dass Produzenten von erneuerbaren Kraftstoffen nicht biogenen Ursprungs diesen Kraftstoff auch als 100 % erneuerbar im Sinne der europäischen Erneuerbaren-Richtlinie anrechnen können.